Vor kurzem hatte ich einen Klienten, der mir von seiner Arbeitssituation berichtet hat. Er erzählte mir voller Stolz, wie geschäftstüchtig er doch sei. Er berichtet von den zahlreichen Überstunden und das er sogar an einem Samstag, an dem ein Kollege ausfiel und sein Chef zur Vertretung kam, trotzdem in die Filiale fuhr, obwohl sein Sohn seinen 10. Geburtstag hatte.
Während ich ihm so zuhörte, hat sich in mir immer mehr der Verdacht ausgebreitet, dass es sich bei ihm möglicherweise um eine „Arbeitssucht“ handeln könnte. Doch was genau ist eigentlich eine Arbeitssucht?
Eine Arbeitssucht ist laut Prof. Dr. Ute Rademacher keine Modekrankheit, sondern eine ernstzunehmende Verhaltenssucht. Auch wenn sie noch nicht in den offiziellen Kanon der psychischen Störungen aufgenommen wurde, erfüllt sie ihrer Ansicht nach alle Kriterien, welche die Weltgesundheitsorganisation in der „International Classification of Deseases“ (ICD 10) als „Abhängigkeitssyndrom“ definiert.
Wie zeigt sich eine Arbeitssucht?
Arbeitssüchtige Klient/innen
- haben ein starkes Verlangen, viel Arbeit auf sich zu nehmen und sich in ihrer Arbeit zu verlieren.
- neigen dazu, immer mehr und mehr Arbeit zu übernehmen.
- können schwer Arbeit abgeben.
- erleben ihre Freizeit als unbefriedigend und unproduktiv.
- arbeiten auch am Wochenende und im Urlaub.
- haben keine ausgewogene Work-Life-Balance.
- kommen auch krank zur Arbeit.
Wusstest du, dass laut einer Studie schätzungsweise 200.000 bis 300.000 Deutsche arbeitssüchtig sind?
Ich fand die Zahl ziemlich erschreckend. Es gibt sogar Selbsthilfegruppen der „Anonymen Arbeitssüchtigen“ und auch Reha-Kliniken, die spezielle Programme für arbeitssüchtige Personen anbieten. (Quelle: Städele & Poppelreuter, 2009)
Wie kannst du eine mögliche Arbeitssucht bei deiner/m Klient/en im Coaching erkennen?
Indem du sein/ihr Verhältnis zur Arbeit hinterfragst.
Folgende Fragen können dich dabei unterstützen:
Fragen zur Arbeitseinstellung:
„Welche Stellung hat Ihre Arbeit in Ihrem Leben?“
„Welche Rolle spielt/e Arbeit in Ihrer Herkunftsfamilie?“
„Was verbinden Sie mit Ihrer Arbeit?“
„Was glauben Sie, würde Ihnen fehlen, wenn es Ihre Arbeit nicht mehr gäbe?“
Fragen zum Arbeitsverhalten:
„Machen Sie Überstunden und wenn ja, seit wann und wie viele?“
„Wie versuchen Sie sich vor möglicher Überforderung und Überstunden zu schützen?“
„Wenn Sie auf Ihre Kollegen und Kolleginnen schauen, wie gestalten die sich ihre Arbeit?“
„Inwiefern versuchen Sie sich ggf. Unterstützung zu holen?“
Fragen zur Erlebenswelt:
„Welches grundlegende Gefühl verbinden Sie mit Arbeit?“
„Wie geht es Ihnen während Ihrer Arbeit?“
„Wann geht es Ihnen besonders gut und was ist da anders?“
„Was erleben sie manchmal als schwierig und unangenehm während Ihrer Arbeit?“
Durch diese Fragen kann dein/e Klient/in zu der Einsicht gelangen, dass sie von Arbeitssucht bedroht oder bereits arbeitssüchtig ist.
Bezieht sich ihre Denk- und Handlungsweise vor allem auf die Arbeit und wird der private Lebensbereich um die Arbeit herum gestaltet, so kann das ein Hinweise auf eine (drohende) Arbeitssucht sein.
Sollte dein/e Klient/in auch davon berichten, dass sie/er einen inneren Drang verspürt, ständig arbeiten zu wollen, kann auch dies ein Indikator auf eine (drohende) Arbeitssucht sein.
Kann Coaching helfen?
Da wir keine Ärzte sind und uns eine „Diagnose“ nicht zusteht, können wir nur Vermutungen anstellen.
Je nach wahrgenommenem „Schweregrad“ musst du dann individuell entscheiden. Bei einer drohenden Arbeitssucht, kann Coaching durchaus hilfreich sein.
Ein Ziel im Coaching könnte dann sein, deine/n Klienten/in dabei zu unterstützen, zu überlegen, wie es ihm/ihr gelingen kann, weniger zu Arbeiten und sich trotzdem gut zu fühlen.
Erarbeitet dann gemeinsam Strategien, die dein/e Klient/in Schritt für Schritt nachhaltig in seine/ihre Arbeitswelt etablieren können.
Grenzen des Coachings
Weisen deine gesammelten Informationen jedoch für dich darauf hin, dass es sich womöglich um eine (manifestierte) Arbeitssucht handelt, so sollte in einem offenen Gespräch, beispielsweise in einem Zwischengespräch mit dem/der Klienten/in und der Führungskraft gemeinsam über die aktuelle Situation gesprochen werden, um passende Maßnahmen in die Wege zu leiten.
Das gilt auch, wenn deine Klient/innen im Coaching darüber klagen, dass ihnen alles zu viel ist, sie sich fortlaufend überlastet fühlen und möglicherweise auch schon über körperliche Symptome wie häufige Kopfschmerzen oder Lustlosigkeit klagen. Das kann auf ein ernstzunehmendes psychologisches Problem hindeuten. In diesem Fall solltest du darauf hinweisen, dass Coaching da an seine Grenzen kommt. Wenn es sich beispielsweise um eine Depression oder einen Burnout handelt, braucht es kein Coaching sondern eher eine psychotherapeutische Behandlung.
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